Damals, als es noch kein Handy gab… oder die Monte Rosa Ostwand
Mein erstes Bergjahr! Nach der Studerhorn- und Lenzspitznordwand bin ich voller Auftrieb.
Da kommt’s grade recht, dass Ralf ein neues Firmenauto besitzt und sich von seiner Freundin getrennt hat.
Mit 200 km/h geht’s an die Wendenstöcke, Ralfs Traumklettergebiet: steil, keine Bänder, kein Schotter, kein Gras.
Das gibt’s dafür reichlich auf dem 800 Hm Zustieg. Ach ja: den berühmten Wenden-Nebel auch, wir frieren entsprechend auf den letzten SL.
Trotzdem bin ich stolz auf „Aureus“ (400 m, mit Var. 7+) und wir beschließen, morgen gleich noch mehr Kalk unter die Finger zu nehmen.
Leider will das Wetter nicht. Also noch mal umdrehen, dann Kaffee trinken (bei Ralf ein Muss), Pläne machen.
Im Wallis soll’s gut bleiben, die Monte Rosa Ostwand klingt gut: wohl die höchste der Alpen, 3000 m insgesamt. Nix wie hin!
Doch Stopp: unser ganzes Kletterzeug liegt ja noch am Einstieg, wir wollten ja klettern! Also auf zum 800 Hm Frühsport.
Wir stolpern durch Nebel und Regen – wo verflixt war das doch gleich???
Jetzt sind die Schrofenhänge richtig gruselig, Ralf kann’s gar nicht glauben, dass wir hier gestern entlang spaziert sind.
Zum Glück gebe ich nicht auf und finde den Rucksack.
Das folgende motorsportliche Ereignis endet erst in Italien – Polizeikontrolle! Adrenalin!!!
Aber sie wollen nur meinen Führerschein sehen, die permanente Geschwindigkeitsüberschreitung der letzen 250 km juckt sie nicht.
In Macugnaga noch schnell gepackt und mit vollen Backen den letzen Lift geschnappt.
Dann wanken wir in den herrlichen Abend, über grüne Bergwiesen Richtung Marinelli-Biwak.
Spät ist’s geworden und die Nacht in dem runtergekommenen Hüttchen kurz: um 1 Uhr geht’s weiter.
Erst Schotter, dann Firnhänge. Wir peilen die Briochi-Rippe an: Fels bis 4, Kombigelände bis 70°. Es wird langsam hell.
Was für eine Schau! Man sieht das Lichtermeer der Poebene, dahinter im Dunkel – das Mittelmeer!?!
Ich stehe und staune, Ralf steht und schnauft. Er hat schwer mit der Höhe zu kämpfen und macht mir klar, dass er mich nur aufhält.
Alleine da hoch? Na klar!
Im Rucksack das beruhigende Seil – wenn’s sein muss, komm ich damit ja runter. Über Lawienrunsen zur Rippe, sonniger Fels!
Allzu schwer ist’s nicht, aber auch nicht allzu fest.
Eine Stelle bleibt mir besonders in Erinnerung: ausgesetzt muss ich links der Rippe klettern, ich sehe die ersten Haken der Tour –
hilft aber nix, denn ich bin ja allein. Steinschlag gibt’s auch, zum Glück bin ich wenigstens davor auf der Rippe sicher.
Immer öfter ist’s vereist und verschneit, ich lasse die Steigeisen an.
Dann das Leichentuch, sch… Name und sch… Schnee: ziemlich grundloses, grieseliges Zeug.
Ich brauch ewig (und ewig viel Adrenalin) für die paar hundert Höhenmeter.
So langsam setzt mir die Höhe, der Stress, die Einsamkeit zu.
Laut Führer wartet noch ein fast senkrechter Kamin und die steile Gipfelwächte auf mich.
Zum Glück ist beides nicht zu finden, über 60° Kombigelände und eine Firnrampe erreiche ich den Grat und in wenigen Schritten das Nordend (4609 m).
Ich bin ziemlich fertig, es ist Mittag und ich muss noch irgendwie runter.
Die Wand absteigen scheidet aus, und der Umweg über den Gornergletscher – Hm, alleine kilometerweit durch diese Eiswüste?
Irgendwie entscheidet sich mein benebeltes Hirn für das einzig Vernünftige: ich schließe mich einer Gruppe Normalweggeher an und torkele zur Monte-Rosa-Hütte.
Hier wird mir zum ersten Mal klar, dass Geld, Papiere etc. bei Ralf im Rucksack sind.
Ich erbettele mir einen Anruf und melde mich bei unserem Kommunikationscenter Sebastian.
Mein treuer Mitbewohner soll im Fall des Falles vermitteln: "David in Täsch am Bahnhof!"
Dann hetze ich zur letzen Gornergratbahn.
Meine Sorge ist, dass ich nicht rechzeitig runter komme und Ralf den morgigen Tag versaue.
Immerhin bleibt noch Zeit festzustellen, dass das Matterhorn wirklich ein außergewöhnlicher Berg ist – da muss ich mal hoch!
Die Bahn erwisch ich noch, und welch Wunder: ich werde sogar mitgenommen.
Der Schaffner bedauert sogar, mich nicht noch nach Täsch mitnehmen zu können, aber er fährt selbst SBB.
So wackele ich gen Täsch in den Innenschuhen, die Schalen würde ich am liebsten wegschmeißen. Das nächste Wunder: ein Taxi hält.
Ob ich nach Täsch will? Klar! Aber keine Kohle…egal! Naja, der Gute hat ja schon 4 zahlende Kunden, ich pass noch in den Kofferraum.
In Täsch am Bahnhof dann leider kein Ralf. Hm. Um 24 Uhr macht die warme Bahnhofshalle zu und ich darf raus in die Kälte.
Die Tischdecken der Hotelveranda umfunktioniert als Biwaksack, aber so eine Julinacht im Wallis ist verdammt frisch!
Ich statte dem coop einen Besuch ab: die haben hinter einem Lattenzaun ihr Pfandlager. Der Zaun ist kein Hindernis.
Schon bin ich stolzer Besitzer eines ganzen Kasten Cola-Pfandflaschen! Warm ist mir auch wieder.
Den Rest der Nacht verbringe ich in der Tiefgarage: hier ist’s gleich viel gemütlicher.
Zum Frühstück in den coop: 20 SFr bekomm ich für den Kasten, das lege ich gut in Milch, Brot und Käse an. Wie schön ist doch die Welt!
Es ist Mittag, ich liege in Brig in der Sonne und hab aufgegeben, noch nach Macugnaga zu trampen.
Über den Simplon fahren nur vollgeladene Touriautos.
Es wird Abend, Ralf ist immer noch nicht aufgetaucht. Ich rufe 110, die Bergwacht:
"Ja, mir geht’s gut, falls der Ralf anruft braucht ihr mich nicht suchen!" - "Jo, Sie sind der Erschte der bi uns aaruft, weil’s ihm gut geht!"
Und er verspricht, mal in Macugnaga anzurufen, ob Ralfs Auto noch da steht.
Er ruft zurück, in dem Moment sehe ich draußen den weißen Galaxy vorbeidüsen – sch...! Was nun tun?
Mit meinen letzten 50 Räppli ruf ich in Täsch am Bahnhof an: "bitte warten…bitte warten…Bahnhof t…" -
"ja, ich bin der David, der Ralf sucht mich, bitte hängt doch einen Zettel raus, dass ich in Brig im McDonald’s sitze!" - "Tüüüt…"
Nach einer bangen Stunde taucht Ralf auf. Er ist total froh, dass ich noch lebe und endlich gibt’s wieder was zu essen!
Nachtrag: Sind dann noch am Hintisberg klettern gewesen, mit tollem Blick zum Eiger.
Naja, was soll ich sagen: das Eisschild in der NO-Wand hat’s mir gleich angetan…aber das ist eine andere Geschichte!
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