Kombi + Eis - Eiger Nordwand |
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Eiger - Nordwand(Max Genstahler)Am Dienstag, den 20.9.2005, hab ich mit David Bruder telefoniert. Er macht einen überwältigenden Vorschlag fürs Wochenende: die Eiger-Nordwand. Durchschnaufen! Am Mittwoch fahr ich nach Neuhaus, um mein Kletterzeug zu holen. Am Abend beschliessen wir, dass wir schon am Donnerstag Abend aufbrechen müssen, um am Freitag und Samstag durchsteigen zu können und am Sonntag aus der Wand zu sein, wenn das Wetter möglicherweise schlechter wird. Mama bekommt einen Anfall, als ich ihr auf ihre Frage gesagt hab, dass ich halt den alten Pickel nehmen würde, den ich von ihr geerbt habe. Also fahren wir am Donnerstag Vormittag zum Basecamp und kaufen ein Eisgerät, zwei Eisschrauben, eine Daunenjacke, eine Überhose, zwei Mützen und ein paar dünne Handschuhe. Damit muss ich ja bestens gerüstet sein. David verfeiert den Donnerstag Nachmittag mit seinen Kollegen auf dem Oktoberfest und kann sich erst gegen 18:00 Uhr nach drei Mass Bier schleichen. Um 20:00 Uhr hole ich ihn mit dem VW-Bus an der Donnersberger Brücke ab und wir fahren nach Grindelwald. ”Es wird net so viele Leut geben, die vom Oktoberfest aus in die Eiger-Nordwand gefahren sind”, hat er später gemeint. Bei Interlaken ist es mir sehr schwer gefallen, noch wach zu bleiben. Schliesslich hab ich die letzten Kilometer David fahren lassen. Er hat so grosse Sehnsucht nach seinem Schlafsack, dass er fürchterlich aufs Gas tritt, die Autobreite unterschätzt und seitlich an den Bordstein schrammt. Na, dann hat er schon langsamer getan. In Grindelwald-Grund übernachten wir die wenigen verbleibenden Stunden, bis wir um 8:00 Uhr mit der ersten Bahn zur Station Eigergletscher fahren können. Vorher schlagen wir uns mit Müsli mit Schlagrahm(!) den Bauch voll. David ist sichtlich angetan, dass wir zum Einstieg der Eiger- Nordwand absteigen müssen. Noch auf den Almmatten steht ein grosser Wegweiser zum Einstieg mit einem Foto und eingezeichnetem Routenverlauf! Um etwa 9:00 Uhr beginnen wir zu klettern. Bis zum ”Schwierigen Riss” gehen wir ohne Seil. Wir müssen aber ordentlich aufpassen, dass wir keinen Fehltritt auf den zum Teil dünn vereisten Felsen riskieren. Am ”Schwierigen Riss” stocken wir das einzige Mal während der ganzen Tour, um den richtigen Weg zu finden, bis wir klar sehen, wie weit wir queren müssen. Dann ziehen wir die Steigeisen an und legen sie nicht mehr ab, so vereist ist die ganze Wand. Aus dem Fenster der Jungfrau-Bahn und durch die ”Rote Flüh” hängen viele Fixseile. Anfangs denke ich, die seien für die Bergrettung, aber wahrscheinlich sind sie von dem Film-Team, das wir später eingeholt haben. Entsprechend einfach ist es, an den Fixseilen über den ”Hinterstoisser-Quergang” zu gehen. Ich hab ihn überhaupt nicht als spektakulär in Erinnerung. Im ”Schwalbennest” sind die Biwakspuren der vergangenen Nacht zu sehen. Das ”Erste” und das ”Zweite Eisfeld” haben wir schnell hinter uns, denn es herrschen wirklich die allerbesten Verhältnisse. Vor einer Woche hat es viel geschneit. Der ganze Schnee hat sich gesetzt und ist durchgefroren. Vom ”Bügeleisen” muss ich David ein Stück abseilen, dann folge ich ihm mit einem ganz langen Seilschwanz. Die anschliessende Seillänge gehe ich voraus, aber vor lauter ”Hinterhergeh-Gewöhnung” folge ich den falschen Spuren vorbei am Einstieg zur ”Rampe”. David hat mich dafür in der nächsten Seillänge mit Schnee und Eis zugeschüttet. In den vorangegangenen Seillängen haben wir uns gewundert, wie lang die Seilschaft vor uns braucht, um die ”Rampe” zu überwinden und wir haben sogar gespottet. Aber dann wissen wir schon warum: In der ”Rampe” stecken nahezu keine Haken und die wenigen sind fürchterlich verrostet und wackeln wie Kuhschwänze. Zudem pappt in den Felsen immer noch so viel Eis, sodass man selten auf Reibung stehen kann, aber auch Eisgeräte und Steigeisen nicht wirklich greifen. Ich bin froh, dass David vorsteigt und ich mir die Angst sparen kann, die er hat. Dafür darf ich zweimal seinen Rucksack nachschleppen. Ist das eine Schinderei! In der letzten Seillänge dieses Tages hat sich nur so zum Vergnügen Davids Seil an einem Karabiner zwei Meter über meinem Stand verknotet. Sein Schimpfen nutzt nix, bis ich das Seil, lange am Stand gesichert und in Schlingen baumelnd, entheddert hab. Leider gibt es für uns keinen Platz mehr auf dem breiten Biwak- Band am Ende der ”Rampe”. Die Seilschaft vor uns hat sich dort häuslich eingerichtet und David angewiesen, schräg unterhalb unter ein kleines Dach zu gehen. Als David mich nachgesichert hat, ist es bereits stockdunkel. Wir scharren erst einmal so viel Schnee von dem Balkon, dass wir eine einigermassen ebene Liegefläche erhalten. Beim Abhängen der Ausrüstung vom Klettergurt hab ich meine schöne niegelnagelneue Eisschraube in der dunklen Nacht versenkt. Es hat nix mehr genutzt, dass ich hinter ihr her eine halbe Seillänge abgeseilt bin. An drei vorhandenen Bohrhaken dekorieren wir unsere ganze Ausrüstung und kochen ganz schnell Tee und Erbsensuppe. David sitzt als erster im Eck und gibt so die Tischordnung und später die Schlafplätze vor. Ich darf mich zwischen seine Beine kuscheln. Die erste Hälfte der Nacht versuchen wir vergeblich, eine für beide annehmbare Schlafposition zu finden. Irgendwo zieht es immer in den Biwaksack und den einen Schlafsack, den wir dabei haben. Da helfen auch unsere Daunenjacken und Überhosen nichts. David versucht erfolglos - mich mit erbärmlich stinkenden Abgasen zum Schlafen zu bringen. Die Erbsensuppe hat ganze Arbeit geleistet. Irgendwann legt sich David nah an die kalte Felswand und ich drücke mich in ”Löffelchen-Stellung” hinter ihn mit dem Hinterteil in der frischen Luft über der Eiger-Nordwand. Richtig romantisch ist es jetzt, vor allem ein bisserl warm mit Schlafsack und Biwaksack. Dann geht’s sogar mit dem Schlafen. Am nächsten Morgen lassen wir uns Zeit. Es ist klar, dass der erste der Seilschaft vor uns schnell an seinem am Vortag gelegten Fixseil über den ”Brüchigen Riss” kommen wird. Aber ich wundere mich, wie schnell das nachfolgende Pärchen mit Eisgerät und Steigeisen über die Felsen kletternd verschwunden ist. Als ich das grosse Biwakband unserer Vorgänger erreiche, krümme ich mich vor Bauchschmerzen. Die Suppe will raus! Wie herrlich ist das, über die Eiger-Nordwand ein Ei fallen zu lassen! Am ”Brüchigen Riss” schlägt sich David sehr gut. Weiss nur noch, dass ich recht geflucht habe, im Kaltstart mit eiskalten Fingern so schwierig klettern zu müssen. Hilft aber nix. Die folgenden Seillängen sind zum Juchzen schön, auch wenn's wegen der Ausgesetztheit im Bauch kribbelt.
Über den ”Götterquergang” brauchen wir ”€žnur” der Spur unserer Vorgänger folgen. Wow, ist das steil!
Unter uns bricht die Überhängende Wand, unter der die ”Rampe” empor zieht, ins Bodenlose ab.
Zudem ist der Schnee so locker, dass die Eisgeräte nicht halten. Kein falscher Tritt! David hat nur einmal nachgesichert.
Den Rest gehen wir auch hier parallel.
Drüben am Einstieg in die ”Spinne” bin ich ganz besonders froh um mein neues Eisgerät, das ins etwa 70° steile Blankeis hinein flutscht. In der ”Spinne” setzt David eine Eisschraube und eine Schlinge, dann sind wir schon droben. Nach der ”Spinne” verabreicht mir David eine Ibuprofen-Schmerztablette, weil ich über Kopfschmerzen jammere. Im leichten Anfang der Ausstiegsrisse holt David die Seilschaft vor uns ein und bald stehen wir zu viert am Stand mit Robert und Daniela Jasper. Ihr Seilpartner John Harlin jun. klettert wie ein Affe vor uns an seinen Eisgeräten hängend durch die Felsen. Nach ein paar lustigen Worten turnen Daniela und Robert hinterher. Obwohl die beiden in schwersten Mixed-Klettereien nahezu zu Hause sind, sind sie doch ein ganz normales Pärchen: Robert will Daniela mit Ratschlägen unterstützen. Sie schimpft herunter: ”Ich schaffe die Stelle ALLEINE! Ohne Tipp!” Robert hat einen kopfgrossen Eisbrocken losgetreten, der mir an die Schulter gesprungen ist. Au! David geht wieder voraus. Jetzt steckt er im Körperriss fest. Er traut sich nicht, wie es uns die anderen vorgemacht haben, ”einfach” aus dem Riss herauszugehen, nachdem er seinen Rucksack hängen lässt. Ich bin glatt erstaunt, wie leicht mir die Stelle fällt, obwohl ich mit zwei Rucksäcken beladen bin. Brauch halt keine Angst im Nachstieg zu haben. Ausserdem wirkt langsam das Ibuprofen. In der nächsten Seillänge darf ich dafür um so mehr schwitzen. Nach einem kleinen Aufschwung müssen wir nach unten links queren. Ein uraltes Fixseil hängt nur noch an einer Litze, die Haken wackeln. David sichert mich zuverlässig, während ich am dürftigen Fixseil hinunterschleiche. Kletternd an den vereisten Felsen zu queren wäre noch riskanter. In den folgenden Seillängen bekommen wir beide reichlich Eisschlag ab, der durch die letzte Rinne von unseren Vorgängern herunterfällt. Zwischendrin klimpert ein Karabiner von Robert an mir vorbei. Wie beruhigend, dass nicht nur ich meine Ausrüstung fallen lasse! Über das Gipfeleisfeld können wir zum Teil an den Fixseilen des Filmteams hinaufsteigen. Nach der Hälfte binde ich mich aus, weil David zwischen drei - vier - nein, fünf Bergführern und Film-Leuten steht, die das Fixseil einziehen und sich auf einem kleinen Absatz drängen. Jetzt bin ich scheint’s wirklich high vom Ibuprofen. Auf den hundert Metern bis hinauf zum Grat lasse ich sogar die Bergführer stehen. Naja, David hat die Seile. Die letzten Schritte bis zum Gipfel verlangen noch einmal höchste Konzentration. Links und rechts geht's so hinunter, dass man mit Sicherheit nicht mehr bremsen würde. Zwischen der vielen Luft gibt es nur die fussbreite Spur. Das Sichern bringt nix mehr, auch wenn ein Kameramann am 1-m-Moral-Seil des Bergführers hinübergezogen wird. Am Gipfel müssen wir leise unsere Kartoffelsuppe schmatzen, weil nebenher die heroische Gipfelankunft des Filmteams dreimal aufgenommen wird. Wir sitzen bestimmt eine dreiviertel Stunde dort und ratschen mit zwei Burschen, die über die Lauper-Route gekommen sind. Daniela wird von uns ordentlich beneidet, als sie an der Hubschrauberleine über die Nordwand abhebt. Der Abstieg über die Westflanke ist gar nicht schlecht. Mehr als das erste Drittel können wir über Schneefelder abfahren. Ich versetze David allerdings einen grossen Schreck, als ich auf einer doch etwas dünneren Schneeauflage auf den Steinen mit meinen Steigeisen abrutsche und auf die nächsten Felsbrocken mit dem Kopf voraus zurutsche. Erst verhängt sich das Eisgerät - ich weiss nicht wo! Beim zweiten Anlauf kann ich rechtzeitig bremsen. Für mich war das Manöver erstaunlich wenig aufregend, viel schlimmer war, als ich später feststellte, dass ich mir das Eisgerät fast in den Bauch gebohrt hätte. Hab einen tiefen Kratzer am Bauch und das Hemd hat ein grosses Loch. Einmal falle ich bis zur Hälfte in ein Loch, dann wieder weiter ... weiter ... über die ewigen Platten der Eiger-Westwand. Fast ganz unten müssen wir ein kleines Rinnsal queren. Ich versuch, möglichst gerade meinen Fuss im Bach zu belasten, aber bei der Müdigkeit und den Algen im Wasserlauf rutscht er doch weg. Pflatsch! Au, der Knöchel tut die folgenden Monate weh. Müde, aber doch überglücklich erreichen wir um 19:00 Uhr die Station Eigergletscher. Im Hinlaufen hören wir den talwärts fahrenden Zug im Stollen. Der überholt uns. - Die letzten Meter rennen wir und springen gerade noch hinein. In 16 Stunden Kletterzeit sind wir durch die Eigerwand geklettert. Wir sind sehr sehr viel gemeinsam am langen Seil gegangen, deswegen waren wir schnell. Besonders muss ich immer wieder an die irre Ausgesetztheit denken. Die Wand ist viel steiler, als sie einem vorkommt, wenn man hinauf- oder draufschaut oder Bilder betrachtet. Dieses Luftgefühl ist vor allem im ”Götterquergang” sehr belastend gewesen, weil es praktisch keine Sicherungen gibt und wir auf steilstem Eis und lockerem Schrott weit queren mussten. Jetzt wundert es mich, dass die Touristen nicht das Abteil wechseln, so stinken wir! Aber, hurraaa! Geht's uns gut!
Die Suche nach Grenzen ist ein scheinbar endloses Spiel.
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