Kombi + Eis - Eiger Lauperroute

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Einsam am Eiger

Tina hat sich von mir getrennt und ich kann mich endlich ganz um die Berge kümmern. Leider ist das Ganze schlecht getimed – über ein Monat schlechtes Wetter. Als der erste Mai mit einem Zwischenhoch anrückt, schwing’ ich mich auf mein Motorrad und brause gen Grindelwald. Die Fahrt durch den Nebel ist reichlich unangenehm und ich frag mich schon, ob Tina nicht die nettere Alternative wäre. Aber in der Talstation der Jungfraubahn lacht die Sonne von den Bildschirmen: da oben über den Nebel muss ich hin! Mein Motorrad landet bei Alpiglen im Wald (verbotener Weise, aber wer kann sich schon die Wucherpreise der Jungfraubahn leisten?). Dann irgendwo grad hoch, ich war hier schon mal mit Thomas B., über den Altschnee an den Fuß der riesigen Mauer über mir. Auf 2000 m bricht die Sonne durch. Herrlich, der Anblick, die Wärme, die Berge!

Nach dem Gletscher wird’s ernst. Immer schön zwischen 50° und Aufschwüngen bis 65° steil geht’s gen Bollwerk. Dieses kann man bei guter Vereisung über eine Rinne links überlisten, das sollte so früh im Jahr doch möglich sein? Die Rinne schaut ganz gut aus, und da oben gibt’s angeblich auch einen Biwakplatz. Doch ich komme nicht weit. Ein nicht mehr sehr gefrorener Wasserfall hält mich auf. Wasser rinnt, die Eisgeräte halten nicht in dem matschigen Eis. Ich beschließe, die Nacht abzuwarten. Zum Glück ist in einer Einbuchtung so viel Schnee, dass ich einen bequemen Platz zum schlafen ausheben kann. Die Sonne versinkt im Westen, toller Blick auf die Nordabstürze Scheideggwetterhorn – gibt’s da nicht auch ne tolle Route??? Ich ruf noch Ralf an, damit jemand weiß, wo ich zu suchen respektive finden bin (mit meinem ersten Handy – nie wieder in Täsch sitzen und warten).

Mir ist schön warm die Nacht über, dem Eisfall leider auch. Mein morgendlicher Versuch, ihn zu bezwingen, endet bald im morschen Eis, Sch...! Ich lege zwei Keile, hänge den Rucksack dran, binde mich ins Seil und überwinde mit dieser psychologischen Unterstützung die Stelle im Fels. Natürlich muss ich dann wieder runter und am Seil erneut mit Rucksack hoch. Eine weitere anspruchsvolle Länge in der gleichen zeitraubenden Technik bringt mich auf den Kopf des Bollwerks. Jetzt aber durchstarten! Der Flaschenhals aufs Lauperschild findet sich irgendwo zwischen den Steilstufen, danach freie Fahrt! Jetzt verfluche ich meine Vergesslichkeit: die Sonnenbrille blieb daheim, und wer hätte gedacht, das in einer N-Wand den ganzen Tag die Sonne blendet! Im vertrauten Firn schließe ich daher immer für 10 Schritte die Augen, dann gucken, 10 Schritte blind, gucken, 10…

Von links unten grüßt die Mittellegi-Hütte, der Grat kann nicht mehr weit sein. Ich verzichte auf die Suche nach dem 5er Riss und steige direkt über Kombigelände Richtung Grat. Steigeisen kratzen über Kalk, wäre echt doof, jetzt noch zu sterben! Also Eisschraube raus und rein damit! Das gute Titanstück quietscht und sträubt sich, ich brauche das Eisgerät als Hebel und zerre ganz schön. Oben die gleiche Mühe, ich sollte mal in neue Schrauben investieren! Abseilen und rausdreeeeehen. Ich sehe die Titanschrauben im neuen Licht (oder eher den Kalk?): gute 5 cm hat sich die Schraube in den Fels gefressen, das hält ja wohl! Nach zwei zeitraubenden Doppelkletterlängen geht’s plötzlich nicht mehr weiter. Ich bin raus aus der Wand! Leider hat sich auch der Nebel bis hier hoch gekämpft, und ich muss an den Satz bei Munter denken: "…der Abstieg über die Westflanke ist für Ortsunkundige bei schlechter Sicht schwer zu finden…"

Ich denke an die gemütliche Mittellegi-Hütte und beschließe, über selbigen Grat abzusteigen. Vorher schleppe ich mich noch die paar Höhenmeter auf den Gipfel, oder das, was ich im Nebel dafür halte. Der Abstieg geht zunächst zügig, irgendwann stoße ich auch auf ein Fixseil. Ich klinke mich ein, und ziehe – da hab ich’s auch schon in den Händen. Das hat grade noch gefehlt! Die Nerven liegen blank und auf dem nächsten freien Stück biwakiere ich. Zum Kochen zu fertig krieche ich in den Schlafsack. Die Nacht auf 3800 m vergeht langsam, ich mache ständig Situps, damit’s wärmer wird.

Morgens fängt’s an zu schneien, mein Kocher nimmt die Abkürzung ins Tal. Das Handy spendet Trost: der Wetterbericht sagt schönes Wetter bis auf abendliche Gewitter voraus. Ich packe zusammen und tatsächlich zeigt sich die Sonne mal wieder. Ich finde die richtigen Fixseile und flott geht’s tiefer. Der Grat wird flach und ist plötzlich beidseitig überwächtet. Die Aussicht, entweder 800 m oder 1500 m abzustürzen motiviert mich nicht besonders für diese Gratwanderung. Ich ruft JETZT den Heli. Mein Handy ist da anderer Meinung und meldet: kein Empfang. Oh-Oh! Noch mal auf den Gipfel zurück? Und die Wächten? Oder was jetzt??? Ich bemerke, dass das Lauperschild nur wenig tiefer liegt. Dann könnte ich ja meiner Aufstiegspur folgen!?! Zwei Mal abseilen, schon steh ich wieder auf den Frontzacken und kann nur noch auf einer Seite abgehen. Toll. Rumqueren. Spur suchen. Spur verpasst. Zurück. Da geht’s runter. Flaschenhals. Eine Plattform, hier hab ich pausiert. Runter, runter. Die Rinne. Vier Mal abseilen, zuletzt an meinem letzten Klemmkeil. Gute Planung! Der schöne Trittschnee wird immer sulziger, die ersten Schneerutsche gehen ab. Sch…nell runter! Immer noch ist’s steil, aber das Gletscherchen kommt näher, durchhalten, durchhalten, geschafft! Ich setze mich auf den Hintern und rutsche den 40°-Hang runter, nix wie weg von der Wand, den Lawinen! Durch die Nassschneereste taumele ich gen Alpiglen. Am Himmel grummelt’s und wölkt’s.

Als ich am Motorrad ankomme, die ersten Blitze und eine kalte Dusche. Super. Sch… Berge, ich will nur weg. Mir ist saukalt auf meiner Maschine. Auf der ersten Raststätte stopfe ich mich mir Klopapier zur Isolation in die Jacke und sehe aus wie ein Michelinmännchen. Draußen hat sich das Gewitter verzogen, die Luft ist klar uns rein: vor meiner Nase grüßen Eiger, Mönch und Jungfrau – vielleicht sind die Berge ja doch nicht sooo sch…?

Ich schaff’s noch bis zu Jutta & Uli in Aarau. Sie sind zwar nicht da, aber der Schüssel liegt am vertrauten Platz. Ich zieh’ das nasse Zeug aus, will heiß duschen. Die Dusche ist anderer Meinung. Wenigstens funktioniert der Herd: bei 250° und Heißluft wird’s langsam wärmer. So finden mich die beiden Hausbesitzer, und dann klappt’s auch mit der Dusche!

Meine Sachen haben gerade Zeit zum Trocknen: der nächste Abend sieht mich mit Ulis Schuhen (damit der Rest der Füße auch noch Blasen bekommt) gen Morteratschhütte ziehen. Die Skitouren auf die Bernina und die Palü-Überschreitung gehören zum Besten auf Ski, was ich mir bisher gegönnt habe. Allerdings: mit meinen zerschundenen und erfrorenen Händen und den schweren Beinen bin ich ein bissel langsam. Juttas Kommentar: "Kein Wunder, dass du lieber alleine gehst – auf dich muss man ja immer nur warten!"

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