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Klassisch im Kaukasus - oder: Vaterschaftsgymnastik

Den letzten Winterurlaub verbrachten wir in Südafrika, dem fruchtbaren Kletter-Dorado am Kap. Seither sind wir schwanger. Damit ist klar, dass der geplante Wander-, Kletter-, Motorsport- Sommerurlaub in Norwegen wegen umfänglicher Probleme ins (Frucht-)Wasser fällt.

“Geh dich halt austoben!” sagt Steffi, die zweitbeste Ehefrau von allen - “Aber maximal 3 Wochen!”

Klassisches Bergsteigen bietet sich hier ideal an, als Vorbereitung auf künftige Vaterfreuden: man steht viel zu früh auf und kocht einen Brei... und wohin soll’s gehen?

Plan A...laska? - zu kalt, zu teuer.

Plan B...olivien? - zu hoch, zu weit.

Plan C...anada? - zu schlechtes Wetter.

Plan D...ann gehen wir halt in den Kaukasus! Schliesslich gab es da mal einen Artikel in dieser nicht so schlechten Kletterzeitschrift, und das klang doch sehr spannend.

Die Organisation ist denkbar einfach: man überzeugt seinen Kumpel Arne von der Idee und der hat dann Zeit. Nebenwirkungen inbegriffen, z.B. fliegen wir arbeitnehmerfreundlich schon Freitag abends los und kommen erst Sonntag mit dem letzten Flieger zurück, das Taxi ist auf 15 Uhr statt auf 11 Uhr bestellt (einen Direktflug gibt es zwar auch - aber nicht für uns). Immerhin sind wir nach weniger als 24 h im Alpinistenlager Bezingi und wissen schon, wie man sein Wechselgeld zurück bekommt: angestrengtes Starren auf die fremden Scheine, Kopf-kratzen und irgendwas an den Fingern abzählen. Irgendwann murmelt der Russe dann eine Entschuldigung (oder Fluch?) und rückt die fehlenden Rubel raus.

Es ist Anfang Juni, das Lager ist offiziell noch geschlossen und es regnet durch unser Dach - wir beziehen die trockeneren Betten und freuen uns auf den Nieselregen am nächsten morgen, denn da kann man sich ohne schlechtes Gewissen noch mal umdrehen. Mein Schädel überlegt auch noch, ob ihm 2200 m zu hoch sein könnten. Um 8 Uhr reisst es auf, Kopf in den Nacken legen und staunen! Wie wär’s z.B. mit der Eisgipfel da links? Unser Bender-Buch sagt, dies ist der “Ullu Aus Baschi” (4670 m) und die Wand eine 5b (also am Ende der klassischen russischen Skala). Okay, heute schon ein bisschen spät dafür. Wir beschliessen, zur Akklimatisierung erst mal zum Camp auf der Nordseite des “Misses Tau” zu gehen. Einfach die Moräne des Mischirgi-Gletschers hoch und dann 400 Hm auffi. Eine Stunde später laufen wir immer noch einfach die Moräne hoch - soviel zu den Dimensionen hier. Immerhin liegt hinter der Moräne ein Monstergletscher: so modern, das sie von Klimaerwärmung was gehört hätten, sind sie hier anscheinend nicht (die Gletscher). Schliesslich stehen wir auf 3400 m am Camp, gegenüber die Wand von “Dych Tau” und “Mischirgi”: Es rumpelt, kracht, rauscht und knallt. So habe ich mir immer die Eiger Nordwand vorgestellt... (bis ich selbst drin war: dort hört man das Knattern diverser Hubschrauber und überall Kommandos, weil mal wieder ein Filmteam den ultimativen Eigerfilm dreht!). Hier sind wir alleine unter einer 5 km breiten und über 2000 m hohen Riesenmauer.

Abends im weichen Bett machen wir wilde Pläne: ab jetzt jeden Tag mindestens einen 4000er! Morgen den “Ukju”, immerhin eine Art “Dente Blanche” mit seinen gut 4300 m auf dem Normalweg von Süden (2b). Aber erstmal das morgendliche Nieselregen-Umdreh-Ritual. Um 8:00 reisst es wieder auf, wir stolpern diesmal die andere Seitenmoräne hoch, bevor wir links abbiegen. Auf 3200 m steht die Ukju- Hütte, Platz für 10-20 Leute und mehr Charme als ein italienisches Biwak (weil die Schimmeltöpfe fehlen..). im Nieselregen geht’s den kleinen Ukju-Gletscher aufwärts, am Ende einfach die Geröllrinne hinauf (sagt der Bender)...die Natur hält grosszügigerweise gleich 3 Rinnen parat, über die rechte erreichen wir den Grat. 2er und 3er Gelände für eine gute halbe Stunde und wir sind auf unserem ersten Kaukasus 4000er! Leider schneestürmt’s inzwischen, wir sehen nix von der versprochenen Aussicht. Nach 8 h zurück im Camp gehen wir im überschwänglich die Kantine testen - es gibt “Kascha” (Buchweizen) und Kuh, leckerlecker! Morgen geht es zum “Misses Tau” (4470 m), eine Art Matterhorn! Erst mal das Morgenritual: Nieselregen... wir stolpern diesmal die Moräne des Bezingi-Gletschers entlang: aufgepasst, die Erosion hat den Weg zum Teil 200 m tiefer gelegt... und wir stellen fest, dass Wächten nicht an Schnee als Baumaterial gebunden sind. Bei einem von ca. hundert markanten Blöcken zweigen wir in die 800 m hohe Schotterrinne ab (oder besser auf), die zum russischen Biwak führt. Obwohl bereits auf 3600 m gelegen baut sich der “Dych Tau - Nordgrat” hier erst richtig vor unserer Nase auf. Diese lässt uns dann aber auf Anhieb die richtige Eisrinne finden und nach kurzer Kletterei bestaunen wir bei ganz untypisch klarem Wetter die Aussicht auf die gewaltige Mauer zwischen “Dych Tau” und “Koschtan Tau”. Am nächsten Tag wandern wir gemütlich die 10-spurige Autobahn des Besingi-Gletschers entlang. Nach 4 h taucht der winzige rostige First der Dschangi-Hütte in einer Geröllmulde auf. Das Innere macht eigentlich einen russisch-gemütlichen Eindruck, alles ist trocken, und auch diverse Mäuseclans scheinen den Komfort zu schätzen. Aber das Beste: die seltsame Dekoration an der Decke (siehe Foto) entpuppt sich als Proviantsäcke - prall gefüllt mit den Leckereien der kaukasischen Küche: Kartoffelbrei, Buchweizen, Cracker, Trockenfrüchte, Nüsse, Zucker, in einer Ecke liegt ein 50 kg Sack mit Dosen die so kulinarische Höhenflüge wie Kuhfleisch, Fisch und sogar Gemüse versprechen. Die Versorgung der nächsten 2 Wochen wäre damit locker gewährleistet (siehe Foto). wir machen erst mal sauber und richten uns behaglich ein. Am nächsten Tag weihen wir die Eisgeräte (naja, jeder halt seines -wir sind ja klassisch unterwegs...) an der “Pik Sella - Nordwand” ein, einem 300 m 55° - Klassiker des Gebiets. Wir überschreiten noch den Grat zum “Bascha Aus”, die felsigen Südabstürze von “Dych Tau” und “Mischirgi” stets vor Augen. Zwar ist der Fels an unserem Grat brüchig, doch die Pfeiler machen einen festeren Eindruck und so visieren wir für den nächsten Tag den “Mischirgi - Südgrat” an. Doch unsere Wetterdienstelle in Deining meldet via sms für die Nacht ordentlichen Schneefall. Und tatsächlich, am nächsten Morgen ist der Winter eingekehrt, sodass wir uns ruhigen Gewissens einen Ruhetag gönnen. Verschiedene olympische Disziplinen wie Bobfahren, Schneebasketball sowie kulinarische Experimente verkürzen die Zeit. Unter der nachmittäglichen Sonne verdampft der Schnee um die Hütte schnell wieder, doch die Südflanken des immerhin fast Fünftausenders “Mischirgi” bleiben weiss, sodass wir uns für ein Firncouloir entscheiden, das etwa 150vm westlich und unterhalb des Hauptgipfels endet. Zu früher Morgenstunde stapfen wir zunächst noch durch Nebelbänke den schon bekannten Gletscher zum “Pik Sella”. Es zieht immer mehr an und bald durchstossen wir den Nebel und tauchen in eine märchenhafte Welt voller Blautöne ein, die die Geburt des neuen Tages ankündigen. Die Firnrinne weist neige polystyrène von Chamonix-Qualität auf und so gewinnen wir über 50° Gelände mit kurzen 60° Stufen schnell an Höhe. Die Rinne führt uns auf 4900 m auf den Grat, doch hier wird der Schnee waderltief und der Hauptgipfel zeigt mit tief verschneiten 4er Gelände seine Zähne. Es ist zwar erst acht Uhr aber in Anbetracht der Südexponierung der Rinne und der noch nicht vollständig entladenen Begrenzungsflanken belassen wir es beim Westgipfel und steigen ab. Und kaum 20 min nachdem wir den Gletscher erreicht haben fegt prompt ein gewaltiger Nassschneerutsch die untere Hälfte der Rinne blank. Aufatmen! Wir besteigen unsere Bobs (naja, es sind natürlich nicht wirklich unsere, aber sie gehören ja irgendwie zum Inventar...) die wir in der Früh deponiert haben und dann geht’s in rasender Fahrt den Gletscher hinunter - angeseilt natürlich, was zwangsläufig diverse Rodeo-Einlagen zur Folge hat!

Die Nacht wird unruhig: morgen geht’s auf den “Dych Tau” (5200 m), für uns der unumstrittene König des Gebiets. Nach den Erfahrungen gestern peilen wir das grosse Zentralcolouir an, dessen Fuss wir um 10 Uhr wieder erreichen wollen. Nicht viel zeit für 2200 Hm, mit diversen Unabwägbarkeiten. Für den felsigen Gipfelaufbau packen wir sicherheitshalber einige Friends ein. Um 3 Uhr geht’s los, um 5 Uhr steigen wir ein. Eigentlich steigt nur Arne ein: ich vergesse erst den Foto am Depot, dann muss ich ständig selbigen benutzen: keine Wolke am Himmel, ein strahlend kalter Morgen erwacht... erst 500 m höher und einige eisige Aufschwünge später hab ich ihn wieder: die Kälte kriecht durch unsere Leichtbergstiefel, wir müssen Beine schwingen um die Blutzirkulation in Gang zu bringen. Der dünne streifen Firn ist aus der Nähe betrachtet doch z.T. 100 m breit, gesäumt von gewaltigen Granittürmen. Meine kalten Finger zucken bei der Vorstellung, so einen im Garten zu haben. Die Scharte zwischen den beiden Gipfeln, es zieht und ist schon 8 Uhr... schnell die friends raus, und nix wie rauf. Aufschwünge, Schneeflecken, Soooooonnnneeee, ein Kamin, Überhang, Platte... oben! es ist 9 Uhr, die Sicht grandios, glaub ich. Wir haben keine Zeit zu verlieren, in der Sonne taut’s schon gewaltig. So schnell wie’s geht abwärts. Jetzt hilft der lockere Schnee, den Arne so verflucht hat, wir machen -1500 Hm die Stunde. Es bleibt diesmal friedlich. Das Adrenalin macht erst unten auf dem Gletscher Platz für Freude? Glück? Befriedigung? Innere Ruhe? Gleichgewicht? Jaja, die alten Fragen, aber nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Zumindest denken wir das beim faulen Nachmittag: wenn’s Wetter hält muss man das ja ausnutzen. Die “Schchara” steht ja gleich neben an. Eigentlich wollten wir die Nordrippe gehen, aber ich quengele rum: die Seracs, das viele steile Eis mit nur einem Gerät, der blöde Rückzug, und überhaupt: der Gipfel zählt, schwer klettern können wir später... also machen wir uns an den Ost- Grat, gleich morgen früh. Erst mal schneit’s, also weiter schlafen. Doch bis zum Frühstück klart es auf, und selbiges geht mit einem hektischen Aufbruch einher. Ich schleppe den Rucksack, Arne spurt und flucht. Irgend wann kann ich’s nicht mehr hören und löse ihn ab - und oh Wunder, der Schnee trägt! Auch der schlimmste Gletscherbruch nimmt mal ein Ende, unserer verliert sich in einer Eiswand, die wir als Abkürzung eingeplant haben. Vor dem Bergschrund bleiben die Stöcke zurück und wir flüchten vor den herankrichenden Wolken nach oben. Vergeblich! Noch ein paar Fotos, dann ist alles weiss. Zum Glück ist’s auf dem Grat auch mit Wolken sonnenklar (wo’s langgeht). Nebelfetzen, Wolken, mal diffuses Sonnenlicht, Wächten, scharfer Grat, brüchiger Fels, ab und zu ein Blick in die Tiefe, Plateau zum Spuren... Auf dem Ostgipfel (5040 m) rasten wir, schon reichlich dehydriert und auch desillusioniert: es ist einfach länger und anstrengender als gedacht. Ich will nicht aufgeben, spure den nächsten Hang. Arne löst mich ab. Dann bleibt er stehen: direkt vor ihm verabschiedet sich ein grösseres Schneepaket. Wir nehmen’s dankbar als Hinweis, es für heute gut sein zu lassen. Der Grat ist zurück genauso heikel (wer hät’s gedacht???) und der einsetzende Schneefall macht’s auch nicht besser. Wir brüllen uns nicht nur einmal an. Dann verfehlen wir den Normalabstieg. Hagel setzt ein, fernes Grollen. Es wird ungemütlich. Schliesslich finden wir unsere Aufstiegseiswand, naja, da weiss man, was man hat. Die Spindrift macht uns zu schaffen, Mist. Arne hat ein Einsehen, er seilt mich mit Sack und Pack ab und steigt dann mit 2 Geräten hinterdrein. Über eine Stufe seilen wir gemeinsam ab, während neben uns Kaskaden von Spindrift (oder sind das schon kleine Lawinen?) niedergehen. Als wir am Bergschrund sind, ist’s noch nicht vorbei: die Stöcke sind inzwischen von den Schneerutschen begraben, ich hoffe, das meterdicke Paket will nicht noch tiefer rutschen. Unsere Spur ist weg, zumindest meistens. Ich finde sie trotzdem und bald liegt der Spaltenirrgarten hinter uns. Diesmal sind wir wirklich fertig, wir flüchten am nächsten Tag ins Basislager. Leider hält das schlechte Wetter nicht lange: am Abend schon trinken wir in der Sonne unser Bier und müssen Pläne machen... wir haben ja immer noch fast ne Woche!

Wir wollen unbedingt noch dem 4ten 5000er einen Besuch abstatten, doch der “Kostan-Tau” liegt ganz hinten über dem letzten Geltscherbecken des Mischirgi-Geltschers. Auf einen Tag Geltscherbruch-Irren haben wir keine Lust und es gibt auch eine viel eleganteren Zustieg: über die 1200 m hohe Eiswand des “Ulu-Aus-Baschi” und Abstieg nach Süden. Da man nie weiss, ob das Wetter nicht doch gut bleibt, nehmen wir noch Proviant mit um am Ende der Moräne ein Depot zu errichten. Wir haben von besagter Moräne nämlich genug! Der Rucksack ist entsprechend schwer aber trotzdem kommt bald Begeisterung auf: über der Blumenwiese baut sich die gewaltige, eisgepanzerte “Dychtau-Nordwand” auf. Das erste Mal sehen wir dieses Juwel bei Kaiserwetter. Atemberaubend! Und eigentlich gibt’s auch ne vernünftige Linie: eine gut 1800 m hohe (fast durchgehende) Eisrippe, die die Wand links begrenzt. Träume für übermorgen, erst mal essen deponieren und dann weiter zum Fuss der “Zustiegseiswand”.

Nach unzähligen Sonnenuntergangsbildern kriechen wir in das 1,5-Mann-Zelt und unter den einen Schlafsack. Naja, irgendwo muss man ja Gewicht sparen, und da diesmal 4 Eisgeräte dabei sind... Die können wir gut brauchen: bei Sonnenaufgang stehen wir mitten in der blanker werdenden Wand und sind einmal mehr froh, dass wir den “Elbrus” aus der Ferne geniessen können statt uns auf diesem langweiligen (Mode-Ski-)Berg um die Plätze zu prügeln.

Statt Bender-gemäss durch die Gipfelfelswand steigen wir lieber durch eine steile Eisrinne. Die spuckt uns nach knapp 4 h kurz unter dem Gipfel aus. Heute können wir ganz entspannt in die Runde schauen: von “Elbrus” bis “Kazbek” reicht die gewaltige Gipfelsicht, auch die “Usba” können wir ausmachen. Der Abstieg durch die 40-45° steile Südrinne verläuft dank bestem Firn problemlos. Arne hat genug und will schnell ins Biwak, doch ich mache noch einen Umweg über den “Kündüm- Mischirgi” (4550 m) - weil er halt da ist. Dann schlagen wir unser Zelt im “Hotel 3800” (mNN, klar!) auf und studieren schon mal die Routen in der “Koschtana-Tau” Nordwand. Wir planen eine breite, steile 400 m - Eisrinne als Abkürzung zu nehmen um auf die Route über die Nordwestrippe zu gelangen. Dort warten ein schicker Eisgrat, etwa 150 m steiles Kombi-Gelände, ein 300 m hoher Firnhang, Gletschereinlage und noch mal 200 m Firnwand und ein Stückl Grat zum Gipfel. Gegen Abend bringt ein Gewitter 5 cm Neuschnee, stört uns nicht weiter. Jetzt wo ein neuer strahlender Tag anbricht, der Bergschrund 150 m tiefer liegt und wir die steile Rinne queren stört er aber doch ganz gewaltig: ich klammere mich an meinen Geräten fest und hoffe, dass die Lockerschneelawine bald aufhört. Warum muss das Zeug auch runter kommen, wenn ich in der Lawinenspur stehe? Der Druck lässt nach und ich bin eingeeist. Wir packen das Seil aus, die Rinne wird für eine Länge 75° steil. Dann noch 100 m spuren und wir stehen in der Sonne! Das Mixed- Gelände ist richtig cool: steile 70-85°, der Fels brauchbar, dann wieder ganz nette Eisauflage... Wir nehmen das Halbseil doppelt, beziehen alle 30 m Stand und sind froh über jede der 5 Eisschrauben, 6 Friends und 6 Keile. 6 SL Anspannung, schaffen wir’s? Jubel, als Arne auf dem Firnhang steht, er ist so high dass er das ganze latent lawinöse Stück vorauseilt. Ich stapfe mit Sack und Pack hinterdrein. Die Stunden bis zum Gipfel sind ein Fall für den Alpin-Alzheimer: eine Schinderei, die man besser vergisst. Endlich am höchsten Punkt angelangt bin ich doch atemberaubt, auch von dem Blick die steile Südwand und entlang den eleganten Ostgrat hinab. Den müssen wir noch runter, und das dauert. Die schwindenden Reserven hört man am rauher werdenden Ton in der Seilschaft. Vergeben und vergessen. Im “Hotel 3800” machen wir 2 Dinge nicht: weiter absteigen und was essen. Wobei letzteres eine direkte Folge von ersterem und unserer konsequenten Planung, Essen für genau 2 Tage, ist. Am nächsten Morgen eine Überraschung: beim Packen finde ich noch ein Tütchen Ovomaltine: ein königliches Frühstück im Vergleich zu nichts. So gestärkt gilt “Abstieg durch Aufstieg”: der Gletscherbruch ist immer noch nicht so verlockend, dann doch lieber über einen Pass. Und ich mache mal wieder einen “Abstecher”: 150 Hm zum “Pic Panorama” (4150 m) sind auch noch drin. Stunden und einige Irrungen später stehen wir dann auf dem Gletscherfeld vor der “Dychtau- Nordwand”. Natürlich wollen wir die 1800 m hohe Eisrippe noch angehen, also gibt’s ein Depot auf dem Gletscher. Doch hier schlafen will ich nicht. Die grüne Wiese 2 h tiefer lockt. Arne freut sich wie ein Schneekönig, als wir die ersten Blumen erreichen, und dann macht er sich übers Essensdepot her. Das gibt ihm so viel Auftrieb, am liebsten würde er gleich in die Rippe einsteigen. Eine seltene Situation: ich bin für einen (halben) Ruhetag. Naja, ich hab mich durchgesetzt, das Wetter gibt mir Recht. Auch der folgende Tag wird lala, und wir brechen den Versuch ab, die nicht zu feste 600 m - Felsroute in der Südwand des “Pic Ural” (4250 m) bei leichtem Schneefall und bescheidener Motivation zu erklimmen. Immerhin waren im Abstieg noch 2 SL mit genialem Rissdach (etwa 6c+) drin, die vor uns noch niemand unter die Finger genommen hat. Jetzt backen wir erst mal kleinere Brötchen: gemütlich geht’s zur Ukju-Hütte und mit einem Einheimischen, der jetzt in Amerika heimisch lebt und über beide Heimats eine Menge zu motzen hat, bis zum Pass. Der “Pic Ural” will auch von der Nordseite nicht bezwungen werden, zumindest ist’s mir jetzt zu warm und lawinös. Dafür kraxle ich auf den “Pic Archimedes” (4050 m). Arne kränkelt, und über Nacht fällt 15-30 cm Schnee. Kalt ist’s geworden, trotz gefütterter Jacke muss ich ständig in Bewegung bleiben. Mach ich auch, bis ich auf dem “Dumala-Aus” (4680 m) stehe. Schnell noch ein Bild von der gewaltigen Nordwestflanke, die ich gerade hochgestapft bin und dann nix wie runter zu Arne, der mit beginnender Erkältung vorzeitig aufgibt. Er steigt gleich ganz ab, damit ist unsere letzte Chance auf die Eisrippe dahin. Macht nix, ein Grund mehr, noch mal herzukommen! Im Tal zieht Nebel auf, daher geht’s für mich als Abendspaziergang die endlosen Schotterhänge südlich der Hütte zum “Gidan-Tau”. Oben warten ein kleiner Bianco-Grat und natürlich ein 4000er auf mich. Im Abstieg verquatsche ich mich noch: eine kleine Truppe Russen lagert unter der Gletscherzunge, Anastasia kann leidlich englisch. Wir reden zwar mehr aneinander vorbei als miteinander (keine Ahnung ob’s ein deutsch-russisches oder eher ein Mann-Frau-Problem ist), aber ich verabrede mich mit ihr für den “Ukju-Südsporn”: 500 Hm sonniger Fels bis 5 versprechen einen netten Bergtag. Tatsächlich klappt das auch am nächsten späten Morgen, die Kletterei ist z.T. richtig gut, und flott sind wir auch: noch vor den ersten Normalweggehern stehen wir am Gipfel, diesmal mit Aussicht. Die Mühe hat sich gelohnt: dank Nasti endlich mal ein anderes Motiv als Arne oder meine Fresse... Irgendwie komm ich auch drauf, warum sie etwas unentspannt ist: ihr Freund und Bergfüher ist mit Kunden auf dem “Pic Archimedes” und weis nix von ihrem “Fremdsteigen”. Sie macht sich selbst Mut - getreu dem russischen Sprichwort “the winner is not guilty”. Tja, keine Ahnung, ob sie damit ungeschoren davon kam, ich auf jeden Fall sitze am nächsten Morgen im Jeep und muss nach Hause. Bei bestem Wetter nutzen wir die Zeit an den Kontrollposten, um die jetzt vertrauten Gipfel zu fotografieren und uns gewaltig über den gelungenen Urlaub zu freuen.

Ach ja: trotz dieser intensiven Vorbereitung hat es LARA geschafft, mich zu schaffen...


Infos:

Hier haben wir uns grob informiert:
www.klettern-magazin.de/pdfs/0202_kaukasusinfo.pdf
etwas veraltete Preise... der hohe Ölpreis macht gierig!
Und hier bei Ali gebucht:
www.mountain.ru/bezengi/eng/
Vorsicht: die Seite ist zwar auf Englisch, Ali aber nix viel sprechen Englisch.

Visa:

Das russische Visum lässt man sich am besten rechtzeitig vorher von einer Agentur besorgen. Wir haben’s erst klassisch mit einer Einladung von Ali probiert, hat dem Botschaftsmensch aber nicht ins (Schmiergeld-)Konzept gepasst. Mussten dann doch zur Agentur, das ging gegen Münzeinwurf sogar in 2 Tagen...

Anreise:

Mit Lufthansa direkt von München für ca. 500,- EUR, oder mit Aeroflot über Moskau nach Mineralney Vody. Mit Aeroflot angeblich auch nach Nalcik, damit 3 h Autofahren weniger. Aeroflot ist billiger, für echte Abenteurer ein MUSS. Das Übergepäck ist hier auch verhandelbar... Ali organisiert dann die Anreise zum Camp (4 h ab Nalcik, 100,- $US return pP).

Basecamp Bezinigi:

Übernachtung ca. 6,-bis 25,- $US pP, je nach Komfortlevel. Geöffnet ab Mitte Juni. Tipp: mit Ali öfter mal einen Schnaps trinken und ein bisschen radebrechen. Netter Kerl.

Eigentlich bekommt auch jede Truppe ein Funkgerät zur Sicherheit. Wir nicht, wahrscheinlich hätten Sie uns dann eh am falschen Berg gesucht...

Essen:

Bier, “Kascha” (Buchweizen), Nudeln, alle möglichen Dosen, Nüsse, Käse, Kräcker, Schokokram, etc. gibt’s im kleinen Laden im Camp. Lohnt sich fast nicht, das vorher einzukaufen.

Im Camp kann man sich bekochen lassen (2,50 $US Frühstück/Abendessen, 3,50 $US Mittagessen). Bei uns gab’s praktisch immer Kuh mit Kascha oder Nudeln. Sie haben erzählt, selbige sei abgestürzt und müsse gegessen werden. Vielleicht erzählen sie das immer. Aber es gibt frisches Grünzeugs, einen Nachtisch und meist ne super Suppe. Und Nachschlag!

Gas:

Kartuschen gibt’s billig im Camp, wiederbefüllen ist noch billiger...

Hütten:

Ukjukosch, ca. 2-3 h vom Camp auf ca. 3200 m. Schöner Platz, den auch die Bergziegen schätzen. Für 5-20 Personen, je nach Komfortlevel. Einrichtung geht gegen Null, dafür ist’s recht sauber und stabil.

Missiskosch, ca. 1-2 h vom Camp auf 2500 m am Fuss des “Missis Tau”. Kümmerliche Hirtenhütte auf schöner Blumenwiese. Mit Gedenktafel der Gefallenen. Wenn’s nicht regnet, warum nicht?

Dschangi-Hut, Austrian Bivak:
Sehr russisch-rustikale Hütte, ab 6 Personen wird’s eng. Aber genial gelegen am Ende des gewaltigen Bezengi-Gletschers am Fuss der “Dychtau-Südwand” und gegenüber von “Schchara”, “Dschangi-Tau” und dem Rest der ganzen Riesenmauer. Erreichbar in 3-5 h über den endlosen Gletscher bzw. die linke Seitenmoräne.

Führer:

Wir haben den (antiquarischen) Bender-Führer dabei. Taugt ganz gut, hat halt so seine Eigenheiten (vor allem eine gewisse Furcht vor steilem Eis, die man dank moderner Eisausrüstung getrost vergessen kann, dazu eine Vorliebe für Wandbiwaks. Wir waren dank light-and-fast Stil meist 1-2 Tage schneller als angegeben. Biwakiert haben wir nie. Oft sind interessant Routen eingezeichnet aber nicht beschrieben).

Atribi zeigt dir auch gerne das Lagerarchiv und gibt Tipps.

Karte:

Gibt’s bei Ali zu kaufen. Sogar mit Höhenlinien, allerdings nur auf den Gletschern. Zusammen mit den Höhenkoten der Gipfel und Pässe reicht’s zur Orientierung.

Touren:

Die von uns gemachten Touren waren alle super. Allerdings lag noch viel Schnee. Zum Akklimatisieren ist die “Ukjukosch” (3200 m) super. Viele auch leichte 4000er stehen zur Auswahl: “Gidan-Tau”, “Archimedes”, “Ural”, “Ukju”). Auch die mittelschwere Felstour über den Südwestgrat des “Pic Ural” soll gut sein (Nasti) und die “Dumala-Aus” MW-Flanke ist ein Klassiker.

Die südseitigen Felsgrate von “Dychtau” und “Mischirgi” sind sicher auch gigantisch, wenn’s trockener ist. Der “Dychtau-Nordgrad” ist eine gewaltige mittelschwere (Eis-)Tour mit einem Schönheitfehler: dem Aufstieg über eine riesige Schotterrinne zum Russischen Biwak. An der “Bezingi-Mauer” waren wir kaum zu Gange. Hier muss man einen schweren Abstieg in Kauf nehmen. “Schchara-Nordgrad” - für den, der’s drauf hat. Etwas leichter die Nordrippe zum “Dschangitau” (5050 m), Abstieg über die Route.

Wetter/Klima:

Wir waren früh dran: Im Juni liegt noch viel Schnee. Da bieten sich die Rinnen und Eiswände an. Die Felstouren an den hohen Gipfeln wie Südgrad “Dych Tau” / “Mischirgi” waren uns noch zu eisig. Das ist später im Jahr sicher besser. Im Prinzip nicht viel anders als in den Alpen. Wir hatten oft Bezengi- Nebel: die Feuchtigkeit aus dem Tiefland hüllt das Lager ein, weiter oben ist’s ein schöner Tag...

Die Vorhersage auf:
www.accuweather.com/world-index.asp war sehr zuverlässig (wir haben eine Statik geführt und über 90% Genauigkeit gehabt). Kannst dir von deiner Frau schicken lassen auf dein russisches...

Handy:

im Lager gibt’s einen Sendemast, damit hat man im Umkreis von 1 km besseren Empfang als daheim in Deining. Für 5,- $US gibt’s ne Prepaid-Karte im Lager-Telecomshop, die allabendliches turteln mit zu Hause ermöglicht. Lässig für werdende Väter.

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